als dokument bleibt diese seite aus der anfangszeit (ab 2005) meiner homepage erhalten.

*

Roko* & Christo


Es war ende der sechziger Jahre. In den ersten zwei Werkschul-Semestern, auch Grundlehre genannt, mussten wir am Ubierring als junge Kunststudenten bei den späteren Professoren Krämer, Schaffmeister und Strack Themen bearbeiten, die zeichnerisch die volle Konzentration der jungen Künstler erforderten.

Die Aufgaben hießen z.B.: ´Zeichne den Stiefel eines Landstreichers´, ´Stapelhäuser am Hafen´, ´Blick aus dem Fenster´, ´Zerknittertes Papier´ oder ´Faltenwurf´ und bezogen sich auf zeichnerische Formfindung und den akzentuierten Gebrauch von Struktur und Farbe.

Wir waren in unsere Zeichnungen vertieft, als nach einer Mittagspause Kommilitone Roko vom Hafen zurück in unser Atelier kam und das Unglaubliche erzählte: Am Hafen hätte er einen Spinner gesehen, der Fässer mit Planen verschnürt hätte. Es wären Fotografen und Pressefritzen dabei gewesen, die sich mit dem Anspruch des jungen Amerikaners und seiner Freundin ernsthaft auseinandergesetzt hätten, dass das Verpacken von Gegenständen Kunst wäre! Unsere Kommentare gingen von ungläubigem Staunen über stummes Kopfschütteln bis hin zur ´totalen Verarschung´.

Diesen Vorfall hatte ich vergessen. Bei der Internetrecherche zum Thema ´Landart´ stieß ich dieses Jahr auf ´Dockside Packages´, eine Installation im Kölner Hafen von 1962, die von dem Autor dieser Internetseiten als eine weitere Arbeit einer Welt-Kunst-Serie von Christo und Jeanne-Claude gesehen wurde.

Der zeitliche Abstand von 1962 zu meinem persönlichen Erlebnis von 1968 könnte sich möglicherweise so erklären: 1969 brachte der Kölner Taschen Verlag eine Bibliografie über die frühen künstlerischen Arbeiten von Christo und Jeanne-Claude heraus, wozu 1968 im Vorfeld des Erscheinens möglicherweise ein fotografischer Ortstermin mit den Künstlern am Kölner Hafen stattgefunden hat, um Bildmaterial für die Publikation zu produzieren.

Bei einigen meiner damaligen Professoren und Dozenten vermisse ich im Nachhinein, dass sie auf gesellschaftliche und künstlerische Zeitströme fachlich angemessen reagiert haben. Die ´Kunst der 60er Jahre´ habe ich mir im Eigenstudium in der damaligen Sammlung Ludwig, Kunst der 60er Jahre, der Vorläuferin des Museums Ludwig, erschlossen.


Meine ungelenke Zeichnung eines Stiefels fristet übrigens immer noch in einer Mappe ihr Dasein.

*Der Spitzname Roko hatte seinen Ursprung in Rokos geliebter Försterpfeife, die wir als Ro-tz-ko-cher bezeichneten.




Historischer Hintergrund:

1961
Bau der Berliner Mauer

1968
Der Reformer Alexander Dubcek wird kommunistischer Parteichef der CSSR. Eine Liberalisierung, der "Prager Frühling", überzieht das Land. Die Rote Armee und Truppen des Warschauer Paktes unter Beteiligung der DDR setzen im Auftrag der russischen Führung der Entwicklung ein Ende. Panzer und Soldaten besetzen Prag. Die Bürger der CSSR kämpfen unter Einsatz ihres Lebens vergeblich gegen die Besatzung. Über 70 Tote sind die Folge der schweren Tumulte, Hunderte von Verletzten, die Gefängnisse überfüllt, ...

Bonn
Ein Demonstrationszug setzt sich von der Bonner Uni in Richtung auf die Russische Botschaft in Rolandseck in Bewegung. Dort angekommen wird die Botschaft unter Sprechchören ´Russland ´raus aus CSSR´ mit Farbbeutel, Obst und Eiern beworfen. Die Botschaft ist verbarrikadiert, die Polizei schreitet kaum ein.


Nachwort: Eigentlich ist mir erst jetzt so richtig bewusst geworden, wie politisch auch frühe Christo-Installationen sein konnten. Der "Iron Curtain-Wall of Oil Barrels", der 1962 die Rue Visconti in Paris mit gestapelten Ölfässern versperrte, war nicht nur eine künstlerische Auseinandersetzung mit den revolutionären Pariser Barrikaden, sondern auch eine direkte Antwort auf den Berliner Mauerbau, vergleichbar heute mit der direkten künstlerischen Antwort des kolumbianischen Malers Botero auf die Folterungen von Abu Ghraib - das sollte zu denken geben.

 

 

>....up
>archiv
>..info
>..home