Rainer Maria Jaenicke



* Ein Corona-Skizzenbuch *

 

 

... inzwischen in der 4. Welle und im März 2022 mit einer unvorstellbaren Inzidenz von 1733,4 und 189 Toten täglich.
Der Corona-Berichterstattung den Rang abgelaufen hat der Ukraine Krieg. Die tägliche Karte mit dem aktuellen Vormarsch der russischen Armee steht in den Ausgaben von Spiegel-Online im Rang weit vor der Karte der Coronalage in Deutschland. Die Anzahl der Toten im Kriegsverlauf wird sehr genau in den Berichten des Magazins aufgeführt. So erscheint das Corona-Skizzenbuch im Anblick der extrem grausamen Erscheinungsformen eines blutigen russischen Angriffskrieges in Osteuropa wie ein Blick zurück in ein noch relativ regelbares Infektions-Geschehen.
Ich erinnere mich an eine Diskussion mit Karl Marx, meinem früheren Professor an den Kölner Werkschulen, über zeitkritische Kunst. Im Moment mag ein künstlerisch-zeitaktuelles Thema viel Aufmerksamkeit erzeugen, aber die dauert zumeist nicht an. So hielt Karl Marx mehr von den klassischen Themen für die künstlerische Gestaltung. Eins von denen war ´Das Floß der Medusa´ von Théodore Géricault.

Eins, zwei, drei! Im Sauseschritt läuft die Zeit; wir laufen mit. Wilhelm Busch

 

 

Das Fehn

Ostfriesische Motive
&
Texte

 

 

Motiv eines Delfter Tellers

 

 

Brückenfehn
Ortsname

 

Ein Kreuzungspunkt älterer und neuerer Mobilität

 

Ab dem Mittelalter zogen Siedler in die Ostfriesischen Moore und begannen mit der schwierigen und extrem arbeitsintensiven Kolonisation. Die gegrabenen Kanäle waren die ersten Verbindungen zur zurückgelassenen Zivilisation, flachbodige Fehnschiffe mit wenig Tiefgang, die vom Ufer aus gezogen (getreidelt) werden mussten, das einzige Mittel, um mit dem abgebauten und

 

Ein Beispiel für ein Flachschiff: Mariechen aus Westgroßefehn in schwarzem Moorwasser

getrockneten Torf in Emden und in anderen das Moor umgebenden Städten Handel treiben zu können. Im 20. Jahrhundert lösten mit dem Straßen- und Brückenbau Fuhrwerke und in immer größerem Maße LKWs die Flachschiffe (Tjalks und Mutten) ab.

 

Schöpfwerk

 

Es müssen in dieser vom Menschen veränderten Landschaft unterschiedlich hohe Wasserstände in den Kanälen überbrückt werden. Dazu dienen die Schöpfwerke. Hier das Schöpfwerk zwischen dem Hollener Schöpfwerkstief, dem hier zu sehenden Kanal, und dem größeren Nordgeorgsfehnkanal auf dem vorherigen Bild. Auf dem kleinen Schild neben dem Fallrohr der Regenrinne des Schöpfwerks steht: Betreten der Schöpfwerksanlagen verboten - Der Obersielrichter.
Nur einige Meter weiter südlich mündet ein weiterer kleiner kanalisierter Bach mit dem wunderschönen Namen Hollener Ehe.
Siehe Wikipedia: Ehe Flussname

 

Haltestelle Brückenfehn, rechts Teile des Wartehäuschens

 

Sieben Abfahrten an Wochentagen nach Remels Schule, Hollen Schule, Hollen Mühle und Hollen Kirche
mit Anschlussmöglichkeiten
Keine Ankunftszeiten, oder ich lese den Fahrplan falsch

 

Friesisch Blau

 

Winterfarben

 

Ein eisiger Januarsturm aus Nordwest, angekündigte Sturmfluten, ein 400 Meter langes Containerschiff fährt sich vom Sturm weggedrückt vor Norderney fest, dann reißt plötzlich der graue Himmel auf, Jean Arps Wolkenskulpturen jagen sich darauf und zwischen den Wolken erscheint das spektakuläre friesische Blau, nicht das dezente der Sammeltassen und des Geschirrs, sondern das authentische, echte friesische Blau eines Winterhimmels. Nur ein extremes fotografisches Weitwinkel läßt diesen Aufzug nachvollziehen. Die Farbsensoren der Kameras reagieren bei dieser Farbintensität über und mich euphorisiert der Augenblick. Auch das Ziegelrot der Scheune erstrahlt in der Nachmittagssonne und gibt sein Bestes. Johannes Itten, der Bauhausanalytiker der Farbbezüge, hätte seine wahre Freude. Nach wenigen Minuten ist das Staunen vorbei und mit dem Heranziehen der nächsten Regenwand versinkt die Landschaft wieder im häufigeren Friesisch Grau.

 

 

Daar bij de molens

 

Die Warsingsfehner Mühle am Warsingsfehnkanal

 

Alte Mühlen am Kanal, ein Konglomerat von vergangener Technik und Romantik, vielleicht auch in manchen Produkten von Kitsch. Die Mühlen begleiten mich seit ich denken kann. Diese Mühle hat in ihrem Dasein viele Höhen und Tiefen erlebt. Seit Generationen beherbergt sie den Mühlenbetrieb Bohlen. Ihre Lage am Kanal ist ideal, An- und Abtransport von Mahlgut waren auf kurzen Wegen vom Schiff zur Mühle natürlich ideal.

 

Vorsicht Düker!
Das Wort Düker kannte ich nicht.

 

Neben dem Kanal wird streng durchgegriffen.
So werde ich als interessierter Besucher schnell zum Unbefugten degradiert:
Wenn´s denn nützt ist´s sinnvoll.

 

Schildbürger

 

Kanal ohne Eis

Wenn nach vielen wärmlichen Wintern endlich mal wieder der Schnee liegenbleibt und dann auch noch am blauen Himmel die Wintersonne strahlt, überkommt mich die kindliche Freude am Schnee und an den Schneelandschaften. Die Fotos sind ein Augenschmaus und die Konfrontation mit Postkartenmotiv und Edelkitsch muss ich da schon aushalten. Leider ist es nicht kalt genug, als dass die Kanäle Frieslands zufrieren und die alte Lust am Schlittschuhlaufen plötzlich wieder die Menschen mitreißen könnte. So ziehen vor meinen inneren Augen die niederländischen Winterlandschaften eines Hendrik Avercamp (1585 -1634) vorbei, die man im modernen Undeutsch als Wimmelbilder bezeichnen würde und die flämischen Winterbilder eines Pieter Bruegel dem Älteren.

Aus: windrädchen, -mühlen und -räder , zu finden auf meiner Homepage unter ART*IST

 

Die neue landschaftliche Dominanz
Dominator maximus

Handelt es sich hier um eine spätromantische Perspektive
oder um das Eindringen in eine gefährdete Restnatur?

 

In der Anfangszeit meiner Homepage waren Alleen schon einmal gedanklicher Beginn einer Geschichte.

Es war einmal.


 

Ayenwolde - Hatshausen

 

Eine Kirche auf der Grenze, Ayenwolde - Hatshausen

Es war nach 19 Uhr an einem verregneten Juliabend, als ich auf den Parkplatz neben der Maria-Magdalena-Kirche fuhr. Der Parkplatz war leer. Ich stieg aus, eine Taube gurrte über mir, ein Hund bellte etwas entfernt. 1556 waren die beiden Kirchspiele zusammengelegt worden und nach Baufälligkeit eines Vorgängerbaus entschied man sich 1783 an gleicher Stelle zu diesem achssymmetrischen Kirchenneubau, genau auf der Grenze zwischen den beiden Orten.
Der Weg zur Kirche führt zentralperspektivisch auf die Eingangstür zu. Hinter verschlossener Kirchentür setzt sich, der auferlegten Logik folgend, natürlich die symmetrische Anordnung fort. Zu dieser späten Tageszeit war die Kirche aber leider verschlossen.

 

Gefallenen Ehrenmal


Zur Linken des Weges halte ich am Ehrenmal für die 56 im zweiten Weltkrieg Gefallenen beider Orte an. Was für ein unvorstellbares Leid für eine Bevölkerung von im Jahr 1939 632 Einwohnern. Bei den Reichstagswahlen 1938 hatten 395 Stimmberechtigte mit 388 Jastimmen für die NSDAP gestimmt (Quellennachweis unten). Tief in Gedanken mache ich die Aufnahmen der Kirche und gehe auf der linken Seite um die Kirche herum auf das Friedhofstor zu. Ein Mann steht mit gesenktem Kopf an einem Grab. Die Haltung erinnert mich an Millets Angelusläuten von 1859.

 

Blickrichtung Ayenwolde

Vor dem Eingang zum Kirchengrundstück stehe ich auf der Mitte der aus feinen Mauersteinen gelegten Ayenwolder Straße und blicke nach Süd-Westen in eine weitere Zentralperspektive. Alles befindet sich in einem sehr sauberen und geordneten Zustand, wie von Jan Vredeman de Vries mit spitzem Silberstift und langem Lineal gezeichnet. Beeindruckend!

 

Blickrichtung Hatshausen

Ich drehe mich um 180 Grad. Ein sauber verlegter Mittelstreifen leitet meinen Blick zum eindeutig definierten Fluchtpunkt zwischen alten hohen Bäumen.

 

Ein Briefkasten auf der anderen Straßenseite

Zwischen abgefallenen Lindenpropellern steht auf dem Briefkasten ein kleines Schnapsfläschchen leicht nach rechts versetzt neben der Symmetrieachse und dann auch noch schief. Der Briefkasten wird an Wochentagen um 8 Uhr geleert.
Nach einer halben Stunde Aufenthalt überlasse ich den Parkplatz seiner Leere und fahre in Richtung Timmeler Meer.

 

Das Rorichumer Tief

Der Bereich um Ayenwolde-Hatshausen verdankte seinen Wohlstand aus seiner Nähe zum Rorichumer Tief, einem Kanal, über den und über weitere Wasserverbindungen früher mit Flachschiffen in Oldersum und Emden Handel getrieben wurde.
Einer der Hauptverkehrswege von heute, die BAB 31, kreuzt wenige hundert Meter weiter westlich den Kanal.

 

Ein beliebtes Motiv auf dem alten Ayenwolder Friedhof

 

Im festen Glauben an die Wiederauferstehung verabschieden sich die Verstorbenen auf ihren Grabsteinen mit Handschlag und einem ´Auf Wiedersehn´.

 

Warten auf Godot - Wahlkammpf in Ayenwolde

 

Briefkasten s.o.

... und ewig grüßt das Murmeltier. Fünf Wochen später habe ich den Briefkasten noch einmal fotografiert. Wenig hat sich verändert. Das Efeu ist gewachsen und die Leerungen fanden sicher regelmäßig statt. Zäh zieht sich die Zeit wie eine zerfließende Uhr in einer surrealistischen Malerei von Salvador Dalí.

Zu meinen Ritualen gehört es inzwischen, ab und an am Briefkasten vorbeizufahren und nach dem Schnapsfläschchen zu sehen. So stand das Fläschchen noch am ersten Advent 2021 in gewohnt schiefer Haltung und hatte die ersten Herbststürme gut weggesteckt, BRAVO!

 

Januar 2022, der Briefkasten ist srahlend sauber oder sogar neu?

Alles ist sauber, scheint neu oder super geputzt. Vielleicht kommt ja einmal zu Beginn jeden Jahres der Herr Propper von der Post und legt los. Das ganze Schmuddelambiente voller menschlicher Spuren und kleiner Geschichten, von mir so gemocht, ist weg, alles ist aufgeräumt und SAUBER. Ist die Geschichte vom Hatshausener Briefkasten damit beendet?

 

Der Wolfs See

 

 

Die Einsamkeit eines Moorsees im Fehn erfreut den Wanderer wegen seiner Abgeschiedenheit und Ursprünglichkeit, mich als Fotografen wegen der ihm eigenen Formsprache und der besinnlichen Farbigkeit des gesamten Umfeldes. Die Klarheit des Wassers nimmt mich gefangen, ich muss an das Bild von John Everett Millais (1829 - 1896) Ophelia in der Londoner Tate Gallery denken. Dieses Bild eines Malers aus der Präraffaeliten-Bruderschaft hat mich ein Leben lang wegen seiner Klarheit und Transparenz der Darstellung des Wasser, in dem die tote Ophelia treibt, fasziniert.

 

 

Das Große Meer

 

Blick von einem Aussichtsturm über viel Schilf zum Großen Meer

Mit dem Großen Meer ist nicht die Nordsee gemeint, wie zu vermuten, sondern der viertgrößte Binnensee Niedersachsens zwischen Emden und Aurich, ein Naturschutz- und Naherholungsbereich. Das Große Meer ist ein sogenannter Niedermoorsee, dessen Wasserstand 1,40m unter dem Meeresspiegel liegt. Bei meinem Besuch regnete und stürmte es, bevor der Himmel aufriss und die Natur in dezemberlicher Farbpracht schwelgte. Im Sommer überlaufen, fand ich zur späten Herbstzeit auf dem Rundweg Rebhühner und Fasane als Begleitung.

 

Das Fehntjer Tief am vierten Advent 2021

 

Sauteler Kanal

 

Sauteler Kanal, Warsingsfehn, Winter 2020/21

 

Belehrung am Laternenmast

 

Sommerabend am Sauteler Kanal in Moormerland

Der Sauteler Kanal gilt als großer Eingriff in die westliche friesische Landschaft zwischen Aurich und Ems. Zwischen 1967 und 1989 wurde dieses gewaltige Entwässerungsprojekt umgesetzt. Mit einem Zufluss um 28 km lang, entwässert der Sauteler Kanal um 200 Quadratkilometer. Der Aushub wurde zum Deichbau genutzt. Auch steht das Warsingsfehner Zentrum auf dem Aushub. 30 Jahre nach Fertigstellung hat sich der Kanal in die Landschaft integriert und entwickelt neben seinen funktionellen Diensten seinen monumentalen Reiz.

 

Kommunikation vor einem Neermoorer Bahnübergang

Auf dem Weg zum Sauteler Siel fahre ich auf einer engen Straße am Kanal lang. An einer geschlossenen Schranke der Bahnstrecke Leer-Emden muss ich halten. Zwischen geschossenem Unkraut steht eine ältere Wechselsprechanlage, deren Knopf ich drücken muss. Ein freundlicher Schrankenwärter erklärt mir über den knarzenden Lautsprecher, dass er gerne nach dem erwarteten Zug die Schranke öffnen würde. So war es, Danke!
Auf dem Schild steht: Schranke wird auf Anruf geöffnet. Bitte Taste drücken. Bitte um Zuruf, wenn Übergang geräumt ist oder weitere Benutzer folgen. 4 große rostige Schrauben fixieren die Schrift-Plakette.

 

Ende des Sauteler Kanals, Sauteler Siel, am Schöpfwerk an der Ems nördlich Leer

Ich genieße die Weite dieser großen Wasserfläche und die wilden friesischen Wolken, die schnell dahinziehen. Auf dem Schild vor dem Landesteg steht: Zutritt nur für Mitglieder, Yacht-Club Sauteler Siel und Berechtigte. Im Internet finde ich Hinweise auf erfolgversprechende Angelplätze entlang des Kanals und Fotos von strahlenden Anglern mit großen toten Fischen im Arm. Kaum habe ich meine Aufnahmen gemacht, parkt ein jüngerer Mann seinen Kombi neben mir, mustert mich streng und kontrolliert den Steg. Der ganze Parkplatz ist nicht als schön zu bezeichnen und fällt in die Parkplatz-Kategorie Abstellplatz für Schrott, Murks und Müll. Auf der anderen Seite der Schöpfwerkstraße befindet sich hinter dem Deich der eben genannte Yacht-Club, wo ich gerne meine Motive suchen würde. Eine Schranke und weitere Verbotsschilder nehmen mir meine Lust, außerdem schießt schon wieder der junge Mann mit seinem Kombi heran und parkt vor der Schranke. Ich ziehe mich zurück. Aus Richtung Leer nähern sich auf dem Deich zwei ostasiatische Wanderer, hochbepackt mit Rucksäcken, die über ihrer Wanderkarte wild gestikulieren. In Ostfriesland darf man vieles nicht!

 

Ein zierliches Denkmal für die Kreuzfahrtschiff-Saurier

Das musst du einmal gesehen haben, sagte man mir, wenn die Riesenpötte die Ems ´runter geschoben werden, rückwärts, von kleinen Schleppern manövriert. Aus dieser Zeit stammt das untere Bild aus dem letzten Herbst. Wegen der möglichen Ansteckungsgefahr für die Zuschauer auf den Deichen durch Corona, war die Passage des Kreuzfahrtschiffes nicht angekündigt worden, hatte sich aber trotzdem schnell herumgesprochen. Viele hunderte Zuschauer warteten auf die Vorbeifahrt der Spirit of Adventure und genossen diese Monumentalität: Großes Schiff, kleiner Fluss, noch kleinerer Mensch.

 

Abschied von einem kleineren Tourismus-Saurier jenseits des Deichs

 

Der nächste Saurier war größer, aber es gibt wohl noch größere.

 


Eine kleine Zwischen-Information zur Thematik ...

... im Besonderen zum Motiv der schwimmenden Hotelburgen: Durch Fotos von den Besuchen beängstigend monumentaler Kreuzfahrtschiffe im Zentrum Venedigs abgestoßen, habe ich um 2019 angefangen, hochhausartige Längsseiten von Kreuzfahrtschiffen in Ansichten bekannter Städte, hier das Bonner Rathaus, zu montieren, um auf die Bedrohung Venedigs durch diese aggressive Form des Massentourismus hinzuweisen. Verschiedene Motive dieser Serie habe ich zu einer geplanten Wanderausstellung zwischen den Partnerstädten Bonn und Bozen eingereicht, aber meine Montagen fanden leider keine Zustimmung der Juroren des Bonner Künstlerforums.


 

Auf den Deichen, hier in Oldersum, freuen sich die Zuschauer über das Spektakel.
Die Vögel weniger, sie werden aufgescheucht und flüchten.

 

Von einem Anwohner, Herrn Zimmermann, bekam ich die interessante Information, dass nächtliche Schiffsüberführungen in den ersten Jahren mit hellerleuchteten Kreuzfahrtschiffen und lauter Discomusik abliefen, was Menschen, weidende Schafe und geschützte Vogelwelt erheblich störte. Geblieben sind heute die Scharen von Zuschauern, die den Passage-Fahrplänen aus Rundfunk und Zeitung folgen, so wie ich, die die Ortschaften an den Emsdeichen mit ihren Caravans und Autos zuparken und oftmals Polizeieinsätze nötig machen.

Die Passage eines so gigantischen Kreuzfahrtschiffes passt nicht einfach so, es bedarf vieler Vorarbeit, bis diese Route von der Werft in Papenburg bis zur Mündung der Ems bei Emden befahrbar ist. Die Brücken müssen die Durchfahrt freigeben können, die Hochspannungsleitungen nicht zu tief hängen und der Wasserstand der Ems muss hoch genug sein, wofür ein Emssperrwerk zwischen Gandersum und Nendorp auch gebaut wurde, das den Pegel der Ems aufstauen, aber auch gegen Sturmfluten vom Dollart her sichern kann. Im Wikipedia Artikel über das Sperrwerk werden die nicht gerade wenigen Sturmfluten der letzten Jahre aufgezählt. Zusätzlich wird die Ems ständig ausgebaggert, um den nötigen Tiefgang für große Schiffe zu ermöglichen. Der ausgebaggerte Schlick wird momentan als Feldbelag getestet, ob fruchtbar, giftig oder beides.

 

Oldersum, Schleuse am Oldersumer Sieltief, Blick auf die Ems

Hochwasser oder durch das Emssperrwerk hochgestautes Wasser, Kleingetier und brütende Vögel im Uferbereich haben zu leiden.

 

Die ehemalige Schraube einer Schraubenpumpe aus dem Schöpfwerk Moormerland in Oldersum, mit deren Hilfe bis zu 20 Kubikmeter Wasser in der Sekunde aus den tiefer liegenden Kanälen in die Ems hochgepumpt werden konnten.

 

Am Grabstein des Kapitäns und seiner Ehefrau, in Jugendstil-Ornamente gefasst,
die Schrift würde ich als Jugendstil beseelte Fraktur bezeichnen.

Für Jahrhunderte waren die Boote und Schiffe die hauptsächlichen Verkehrsmittel in Ostfriesland, hauptsächlich auf den schiffbaren Kanälen im Lande selber, dann zu den Inseln und weiter über das offenen Meer in die gesamte Welt. Schiffsjunge, Matrose, Steuermann, Smutje oder Kapitän zu sein, hieß eine zumeist lange Abwesenheit von der Heimat, die Frauen waren auf sich selbst gestellt und mussten daheim ihre Männer ersetzen.
Bin ich in Oldersum, besuche ich gerne das Grab des Kapitäns und seiner Ehefrau. Unter hohen Bäumen liegt es auf dem alten Friedhof an der Dorfkirche. Die Lebensdaten auf dem Jugendstil-Grabstein zeugen von einem kürzeren Leben des Kapitäns, das nur 30 Jahre währte. Seiner Frau war ein längeres Leben beschieden. Immerhin wurde die Kapitänsgattin 75 Jahre alt, nach unseren Maßstäben heute noch kein Alter.

So wie bei der Recherche über Ayenwolde und Hatshausen finde ich auch bei den Berichten über die Geschichte Oldersums Hinweise über die nationalsozialistische Vergangenheit. Ein Satz lautet: Im April 1940 meldeten die ostfriesischen Städte, früher als anderswo im Reich, dass sie "judenfrei" seien.

In den Berichten Vier Jahrhunderte jüdische Geschichte in Oldersum 1606 bis 1940. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Oldersum, nordwestreisemagazin.de und in Reise ins Jüdische Ostfriesland, www.ostfriesischelandschaft.de lese ich, was die jüdischen Mitbewohner Oldersums und Ostfrieslands in der Reichspogromnacht 9./10. November 1938 und in den folgenden Jahren der Vertreibung und Ermordung erlitten haben.

 

... und letztlich fließt alles zum Meer.

Hundestrand an der Knock, Krummhörn, Emden, Blickrichtung Borkum
Der Campener Leuchtturm 2020 zur Überholung eingerüstet

 

Sturmfluthöhen am Deich-Schott der Fährstraße in Emden-Petkum

In der Ostfriesen-Zeitung gab es im Januar 2021 eine Geschichts-Serie Land und Meer, Historie, Als die Nordsee zum Todfeind wurde, in der ausführlich vom Redakteur Jens Schönig über die historisch belegten Sturmfluten der Vergangenheit berichtet wurde. In diesen Jahrhundert-Sturmfluten, würde man heute sagen, gingen ganze Landstriche, Dörfer und Ansiedlungen mit Menschen und Tieren an die Nordsee verloren. Dieses über Generationen nicht vergessene Leid zeigt sich im extrem positiven Verhältnis der Ostfriesischen Bevölkerung zu ihren lebenserhaltenden Deichen und deren Pflege.

Die Benennung der Sturmfluten erfolgte zumeist nach den Festtagen der Heiligen im Heiligenkalender.
Erste Juliansflut 17.02.1164 - Erste Marcellusflut 16.01.1219 - Luciaflut 13.12.1287 - Grote Mandränke 15.01.1362 - Cosmas-Damianflut 25.09.1509 - Allerheiligenflut 01.11.1570 - Weihnachtsflut 1717 - Februarfluten 05.02.1825 und 16.02.1962 - Allerheiligenflut 2006 - Sturmtief Tilo 09.11.2007 - Orkan Xaver 04.12.2013 (Namen und Daten mit herzlichem Dank aus dem obigen Artikel)

 

Hafen Petkum

Bei Gegenlicht-Aufnahmen geht die bunte Farbigkeit eines Motives verloren und es stellt sich eine unbunte Farbigkeit mit starken grafischen Strukturen zwischen Schwarz, Weiß und einer Anzahl von Grauwerten ein. Mich erinnern diese Motive an den malerischen Duktus mancher Bilder von Max Beckmann.

 

Blickrichtung Norderney
vom ehemaligen Nordener Hundestrand

 

 

In Das FEHN II erfolgen die künstlerischen Umsetzungen.

 

 

Matrose der SMS Ostfriesland

Fotografie, Fotografenstempel unleserlich, kein Datum
Bestandteil einer Collage mit weiteren Objets trouvés zum Matrosenleben vor 100 Jahren

 

 

Früh geprägt durch die holländischen Motive bei meinen Großeltern in Küche, Bad und Wohnzimmer, fühle ich mich in den verwandten ostfriesischen Landschaften und Motiven zu Hause. Die kleinen Holzschuhe aus Keramik, die mir meine Großmutter von ihrer Busreise zum Keukenhof mitbrachte, die in allen Setzkästen der 60er Jahre standen, tanzen daar bij de molens in meinem Herzen, womit ich mich mit meinem Verhältnis zu Kitsch & Kunst geoutet habe. Schon als 14-Jähriger bin ich mit meinem Freund Thomas auf Radtour in den Niederlanden gewesen und habe mich bei Wind und Wetter durch die Weiten gekämpft. Die ersten Pommes frites meines Lebens, mit viel Mayonnaise, habe ich bei dieser Radtour (in diesem Zusammenhang ´leider´) auf dem Marktplatz von Antwerpen aus einer vor Öl triefenden Papiertüte genossen. Das war für mich bis heute, wenn ich daran denke, eine geschmackliche Detonation, die ich nie vergessen werde.

 

Ein Mitbringsel vom Keukenhof

 

 

Bilderbuchersatz in der Küche meiner Urgroßmutter

Eine weitere frühe Prägung durch Fehnmotive fand bei mir durch die Fliesen in der Küche meiner Urgroßmutter in der Uelzener Osterstraße 7 statt. Da es in den ersten Nachkriegsjahren für mich kein Bilderbuch gab, musste ich mir die Motive meiner Phantasien selbst suchen und fand sie hier in den Küchenfliesen dieses alten Hauses, das noch vor dem ersten Weltkrieg gebaut worden war.

 

Postkartenansicht der Warsingsfehner Mühle um 1900

Wenn ich Plätze gefunden habe, die ich immer wieder gerne besuche und ich mich in einem Bereich wohlfühle, versuche ich herauszufinden, wie diese Ansichten früher ausgesehen haben. Eine Möglichkeit des Herausfindens besteht darin, auf Flohmärkten, bei Eb** oder in Verkaufsforen Ansichtskarten von früher zu finden, die diese Perspektiven zeigen. Diese Ansichtskarte habe ich bei Eb** in den USA erworben und sie zeigt mir, was früher ein Charakteristikum des Fehns in Warsingsfehn war. Welchen Weg eine Karte hinter sich hat, kann man oft sehr leicht herausfinden, wenn sie mit Adresse, Absender, Briefmarke, Poststempel und Text versehen ist. Leider ist diese Ansichtskarte auf der Rückseite leer und lässt damit vielen Spekulationen einen freien Raum.

 

Die Warsingsfehner Mühle heute aus ähnlicher Perspektive


Die zunehmende Bebauung lässt die Ansicht noch nachvollziehen, der Warsingsfehnkanal hat vom Volumen her abgenommen, die landschaftsbestimmenden Hebebrücken fehlen. Die Bestrebungen, sie wieder herzustellen, sind absolut sinnvoll. Es ist schön, dass die Mühle besteht und sogar betrieben wird. Die zweite Warsingsfehner Mühle existiert leider nur noch aus einem zum Wohnhaus mutierten Fragment.

 

 

Souvenirs, Souvenirs

Objets trouvés, image pour Bill Ramsey † 2. Juli 2021

 

Entsorgte Köpfe von der Rathausstraße in Leer, Geschäftsauflösung

 

Deko-Keramiken mit historischem Background

Das Wort Kitsch, das ein relativ junges Wort mit erst 150jähriger Verwendung ist, bezieht sich auf die Bedeutung einer künstlerischen Arbeit ohne darstellerischen Tiefgang. Oft sind die Produkte in süßlicher Darstellung lieblich leicht zu konsumieren und lassen sich z.b. als Souvenir entsprechend einfacher vermarkten. Der wahre Kern einer Darstellung kann trotzdem noch erahnbar sein. Zum Arbeitsbereich der Frauen im Fehn gehörte es, das Wasser aus den Brunnen herbeizuschaffen oder die Milch in Eimern nach dem Melken zur weiteren Verwendung weiterzutransportieren. Die Keramik der Wasserträgerin nimmt die Tradition des Motives auf, läßt aber die Mühen dieser Alltagsbeschäftigung in ihrer Darstellung und künstlerischer Gestaltung außer Acht.

 

Demnächst auf dieser Seite:
Küsse
Welche schmecken besser?

 

 

Morden, Norden, Tourismushorden ...
Schlucke ich Pillen am Morgen, denke ich an ...

 

Muschelkorb Souvenir aus der Fußgängerzone in Norden
Ich selbst war am Norddeicher Strand nicht so fündig.

 

The Real Ottifanten Hotspot Emden

 

... und über allem schwebt der Geist Ottos
Installation Frisia orientalis

 

Das ist die Liebe der Matrosen.
Collage, 2021

 

Gedanken zum Kleben & Collagieren ...

 

Ein Memento an die Kleber meiner Kindheit
... und dann traten Pattex und Uhu in mein Leben, sniff, sniff!

Das Kleben mit dem Marzipanduft ausströmenden Pelikanol meiner Kindheit war für die mit Süßigkeiten nicht gerade verwöhnten Nachkriegskinder der 50er Jahre einfach großartig und machte Lust zum Weiterbasteln. Auf dem sarkophagartigen Schreibtisch (Deutsche Eiche dunkel) meines Großvaters Willi Burgdorf stand das Kleberduo neben der ebenso schweren Schreibtischgarnitur auf roter Lahnmarmor-Platte, von einem gusseisernen schwarzen Elefanten bewacht. Ich war absolut von Pelikanoltöpfchen abhängig, anders abhängig als später von den in meinem Bastellebenslauf folgenden lösungsmittelhaltigen Pattex, Uhu und ihren Modellbauverwandten.
Es existiert sogar eine Collage von meinem großen Künstlervorfahren Kurt Schwitters, wie Pelikanol und mein Großvater aus Hannover stammend, mit einer zentralen Abbildung des Pelikanol Döschens.
Neben diesem Kleber gab es auch noch den Gummikleber von Gutenberg, dessen Geschäftsräume ich in Bad Godesberg solange ich denken kann äußerst gerne besuchte. Der Kleber floß bürohonigartig aus einem schlanken und eleganten Glasfläschchen mit einer Gummischnute oben, die von einer edlen Metallkappe verschlossen werden konnte.

 

Eine Collage zum Thema Erinnerungsgespinst entsteht.

 

Das Ansichtskarten-Mythos

Was war authentischer als ein Ansichtskartengruß? Auf der Bildseite* zeigt die geschönte Abbildung der Wirklichkeit oft den historischen Zeitgeist in seinen stilisierten Übersteigerungen. Auf der Textseite findet man die Anschrift, die Briefmarke, die Schrift, die Anrede, den Inhalt, alles ein wirklicher vielschichtiger Gruß aus der Vergangenheit. Die Ansichtskartenzeit erstreckte sich wohl über ein Jahrhundert parallel zur Postgeschichte bis zum Aufkommen der schnelleren Grußmedien unseres digitalen Zeitalters. Das ganze Umfeld der Ansichtskarte ( Ansichtskarte aussuchen, kaufen, an das Porto und die richtige Briefmarke denken, einen zumeist pfiffigen Text schreiben, mit dem zur Verfügung stehenden Raum auskommen, die akkurate postalische Adresse im Kopf haben, einen Briefkasten suchen ) gehört der Vergangenheit an. So versuche ich, die Zeit und den lokalen Bereich meiner künstlerischen Arbeiten auch als zeitliches Stimmungs- und Erinnerungsbild zu zeigen. Die Collage oben ist noch nicht abgeschlossen. Im Weiteren werden noch andere zeitgeschichtliche Elemente integriert werden. Aus der Vergangenheit liegen momentan noch folgende Collageelemente auf meinem Tisch: Zigarrenbinden, Briefmarken, Rabattmarken, Kaufbelege. Werbungen, Liebesmarken, bzw. Glanzbildchen und Eintrittskarten. Diese Zeitdokumente, zumeist meiner Kindheit und Jugend, sollen die Freiräume der Collage füllen. Ich habe sie Erinnerungsgespinste genannt, weil dieser Begriff meinen Erinnerungen, die plötzlich nach vielen Jahrzehnten wieder vor meinen inneren Augen erscheinen, entspricht. Diese Erinnerungen sind nicht singulär, sie bestehen aus einem Gewebe vieler von meinem Unterbewusstsein unterschiedlich gewichteter Fragmente. Das ganze wird im künstlerisch kompositionellen Bereich als Horror vacui bezeichnet, als Angst vor der nichtgestalteten Leere. Um das nachvollziehbar zu machen, möchte ich im Gegensatz zu den Collagen, die zu der Serie der Erinnerungsgespinste zählen, Collagen erstellen, die einen traditionellen kompositionellen Bildaufbau enthalten.

Ganz wichtig bei diesen Ansichtskartenmontagen ist, dass die beschriebenen Seiten mit ihren verschiedenen handschriftlichen Schriftarten, Inhalten und Zeitdokumenten wie Stempel, Briefmarken und Anschriften im Wechsel mit den Vorderseiten gleichermaßen zeigbar sind und im Gegensatz zur Motivseite die individuelle Seite der Ansichtskarte zeigen, inhaltlich von gekünstelt und geschönt bis hin zur schnöden Alltäglichkeit vergangener Jahre. Die Ansichtskarten stecken in transparenten Fotoecken und können abwechselnd je nach künstlerischer Gewichtung beidseitig im Wechsel gezeigt werden.
Die Spiegelelemente erfüllen die Aufgabe, die Gegenwart des Betrachters in die Abgeschlossenheit einer vergangenen Zeit zu integrieren.

* Die Bildseiten der Ansichtskarten zeigen im Laufe der Zeit die komplette Geschichte der Drucktechniken bis hin zur Fotografie und deren drucktechnische Umsetzung, eine äußerst umfangreiche und interessante Thematik für sich. Ich denke da nur an die multimedialen (Sehen-Lesen-Hören) Ansichtskarten-Schallplatten aus den 1960ern, die mich als Junge absolut fasziniert haben.

 

... und auf der Konsole meiner Erinnerungen steht sie noch, die Single meiner Träume von 1965.
Der Text ist nicht unbedingt erfahrenswert:

Mohavana, schönes Mädchen! ...

... die Melodie wohl auch nicht, insgesamt aber doch eine Dokument meiner bescheidenen Kindheit und Jugend.

(Bei meiner Recherche habe ich zu meinem Erstaunen gelesen, dass das Lied noch immer zum Repertoire mancher
Ostfriesischen Shantie Chöre gehört. Der Song scheint unkaputtbar.)

 

Lesen sollte man in diesem Zusammenhang das Gedicht Das Eisenbahngleichnis von Erich Kästner, geschrieben 1932

 

Frühstück im Fehn

 

Die Klischees bleiben, wie Mona, Lollo oder Evelyn.

 

 

Die Emdener Milchkuh

 

Jetzt hat auch die Emdener Milchkuh auf der staubigen Konsole meiner Erinnerungen ihren Platz gefunden.

 

Dieses Treffen bahnte sich schon über Monate an. Eine Milchkuh, ein Milchkännchen aus Porzellan in der Form einer Kuh mit dem alten Emdener Rathaus auf dem Bauch, an der ich mein Interesse bei einem Internetangebot vor vielen Monaten gezeigt hatte, könnte heute fast konspirativ übergeben werden. Nicht zum schnöden Gebrauch sollte dieses für mein Projekt wertvolle Objet trouvé dienen, sondern es sollte Foto-Modell werden in meinem Kunstprojekt *Das Fehn*.

Zu diesem Zweck schwenkt die Kamera jetzt an diesem diesigen vorletzten Apriltag 2022 vom Fehn ins Rheinland, ins Vorgebirge westlich zwischen Bonn und Köln. Vorgebirge, weil dieser Höhenzug wohl vor der Eifel liegt. Es handelt sich im Vorgebirge um eine begrenzte Anzahl von Höhenmetern, so höchstens 165, das Fehn liegt im Vergleich dazu ungefähr auf Meereshöhe. Das Vorgebirge ist also auch mit dem Fahrrad und der legendären Torpedo Dreigangschaltung noch ohne Höhenrausch bezwingbar. Das Treffen zur Übergabe der Milchkuh könnte in Walldorf, im Zentrum des Vorgebirges in Tallage, vielleicht auf dem Parkplatz vor dem Lidl-Markt stattfinden.

Ja, genau dort fand die Übergabe der Kuh in den Mittagsstunden dieses denkwürdigen Tages statt. Die alte Dame Milchkuh wechselte auf schlichten Parkbuchten eines Discounters vor den Augen eines Erdbeerverkäufers ihren Besitzer, modisch eingehüllt in Noppenfolie. Der Zahn der Zeit hatte ihr leider bereits das rechte Porzellanhörnchen genommen, aber die wunderschöne Darstellung auf ihrem prallen Bauch vom alten Emdener Rathaus war geblieben. Davor sieht man kleine Passanten flanieren. Zwei davon waren wahrscheinlich Großtante und Großonkel des Verkäufers, die nach dessen Angaben in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts ihre Hochzeitsreise in Ostfriesland verbracht hatten.

Jetzt wandert die Milchkuh aus Porzellan zuerst mit anderen Objekten in meine künstlerische Installation ins Bonner Künstlerforum und anschließend nach Warsingsfehn nahe Emden an meinen Arbeitsplatz, nach hundert Jahren zurück an den Ort ihres Ursprungs. Das Emdener Rathaus fiel leider im zweiten Weltkrieg dem Bombenhagel zum Opfer und Großtante und Großonkel leben auch nicht mehr, nur die Milchkuh ist geblieben und wurde aus Zufall zu einer hoffentlich bewunderten Akteurin in einem neuen Umfeld.

 

Die friesische Zeitmaschine Felica

... und ihr Einsatz im Fehn

 

Back to the Roots

Durch Zufall stieß ich bei fotografischen Recherchen auf die Friesischen Kamerawerke Vredeborch aus Nordenham, gegründet 1949 und tätig bis 1986.
Diese zu Beginn der Produktion schlichteren Box-Kameras waren in den 50ern des letzten Jahrhunderts, der Zeit des beginnenden Aufbruchs ins Wirtschaftswunder der Bundesrepublik, ein erstrebenswerter Luxusartikel, um die persönlichen Errungenschaften der einzelnen Bewohner zuerst in schwarz-weiß Fotos und dann in Farbe in Alben zu dokumentieren. Das Format der Felica war 6x6cm auf 120er Rollfilm. Ein Format, das noch ohne Vergrößerer mittels Kontaktabzügen relativ einfach hergestellt werden konnte und zu hübschen Ergebnissen führte, vor allen Dingen in Chamois, in der weiß-bräunlichen Farbe des Leders der Gemsen, und natürlich mit einem wertigen Büttenrand der Abzüge versehen.
So ein Friesenauge habe ich zu Experimenten für 5€ bei e*** ersteigert, um an zeitlosen Motiven die Foto-Stimmungen der 50er und 60er Jahre neu entstehen zu lassen. Die 60 Jahre alte Zeitmaschine Felica kam in einem technischen Bestzustand zu mir und freut sich nun auf ihren Arbeitseinsatz im Fehn.

 

Motiv: Museum Heitens Huus/ Backhaus/ Warsingsfehn
digitales Konzept für das analoge Kameraformat 6x6cm

 

Motiv: Uferansicht Leer von der Nessebrücke aus
digitales Konzept für das analoge Kameraformat 6x9cm

 

Motiv: Timmel, Fehntjer Tief, südlicher Arm
digitales Konzept für das analoge Kameraformat 6x9cm

 

Motiv: Naturstrand an der Knock, Emden
digitales Konzept für das analoge Kameraformat 6x9cm

 

 

Tote Tante und andere leckere Dinge

 

Den freundlichen Mann kannte ich schon,
bevor ich wusste, was Alkohol ist.

Pastell nach einer Werbevorlage von Doornkaat aus den 1960ern
Der Doornkaat-Mann von Ludwig Hohlwein aus den 1920ern.
Ein deutscher Werbefiguren Klassiker.

 

Ob Tante, Onkel oder Herr Lumumba, als Name für alkoholhaltige Mixgetränke kann vieles herhalten, rassistisch klingt´s jedenfalls, wenn es auf die Hautfarbe anspielt.
Auch mit den bekannten Schnäpsen verbindet mancher erzählenswerte Erlebnisse. An das aufgequollene Werbegesicht eines älteren Schnapskonsumenten kann ich mich gut erinnern, auch an den Begriff aus Kornsaat.

Ob zur Teetafel oder zur Torte geladen, das Heimatbezogene lässt die Augen glänzen. Als Touri oder Tourine muss man das Angebot mitmachen oder mitnehmen, koste es was es wolle.

 

Sonderangebot
Von der Reise nach Nordafrika zurück.


Das Krabben- oder Matjesbrötchen, Kibbeling oder Backfisch, alles gehört in das Ostfriesenambiente und will gelebt, geliebt und dokumentiert sein.

 

Backfisch aus einem Drive-in

 

Veenhuser Stillleben

 

Wenn man im Rheinland im Supermarkt vielleicht 10 bis 20 Teesorten zur Auswahl hat, sind es in Warsingsfehn z.B. mehrere Gänge mit einem unvorstellbaren Teesortenangebot und natürlich gibt es in den Städten Teemuseen, die die regionalen und überregionalen Teefirmen in ihrer Bedeutung feiern.

 

Der Teebeutel ist schon im Mittelalter bekannt als sacculus medicinalis

 

Voller Erwartung lud ich mich selbst in einem renommierten Norder Stadtcafé zu einer großen Enttäuschung in Form eines lustlos servierten und präsentierten Tee-Zeremoniells ein. Die Präsentation unterschied sich in wenig von einem im Büroalltag übergossenen Discounter Teebeutel mit ein paar Kluntjes/Kandis und einem Sahnetöpfchen. Das Alles erwies sich als ein kräftiger Reinfall, hervorgerufen durch das angeberische Werbefoto in der Karte eines Cafés in der Fußgängerzone.

Ein ebenfalls negatives Erlebnis bescherte mir der Bratwurstkauf am Imbissstand des Norder Marktes. Zwischen sechs fertiggebratenen Bratwürsten lag ein abgebrochenes Exemplar, ungefähr 3cm kürzer als die Geschwister. Mir war klar, dass die Verkäuferin nach kurzem Blick auf mich, mir die missratene Bratwurst auf dem Papptellerchen servieren würde. Genauso kam es. Es war dies eine dieser kleinen Frackigkeiten (an Fremden?), die mit Offenheit, Großmut oder Witz hätten übergangen werden können.

Ähnlich negativ sind meine Erinnerungen an ein Stück Ostfriesentorte in einem Café in Greetsiel. Da wird mit Tradition und Frechheit ohne viel Gegenleistung dem Besucher mit einem wohlklingenden Namen das Geld aus der Tasche gezogen.


In unregelmäßigem Abstand werden hier weitere Objets trouvés, Entwicklungen und Ergebnisse zum Thema Das Fehn II gezeigt.

 

*

 

Zwei Fotos zum Abschluss

August 2022

 

Die von mir bevorzugte Idylle am Rande der Heimat in Ayenwolde und Hatshausen ...

 

... und die Idylle als Beiwerk zur täglichen Realität in Grossefehn

 

In Erinnerung bleibt mir die wütende Plakataktion in Westgroßefehn, wo jeder vorbeifahrende Autofahrer aufgefordert wird, den Ort zu meiden: Du bist einer von den 6000, die diesen Ort mit ihrem Auto täglich belästigen, fahre woanders entlang.
Die Politiker werden auf Handlungsbedarf hingewiesen: Unser Dorf erstickt am Verkehr, tut eure Pflicht, diesen Missstand abzustellen.

 

ENDE

 

2022 ... Auf dem Briefkasten in Ayenwolde liegen wieder die Lindenpropeller und ich werde beim nächsten Besuch ein Schnapsfläschchen leeren (natürlich als künstlerische Aktion!) und auf die hoffentlich vorhandene Zukunft mit diesem liebgewonnenen Accessoir anstoßen (Dieser Gedanke ist zweideutig: So wie es in den meisten Bereichen unseres Europas keine Telefonzellen mehr gibt, wird es in naher Zukunft wegen der schnelleren digitalen Kommunikation nur noch rudimentär Briefkästen geben.).

Mein Blick geht nach links. Auf einem Schild wird auf Kinder hingewiesen bzw. vor Kindern gewarnt, VORSICHT KINDER!, dahinter tollen Kälber auf grüner Weide, auch Kinder ... und warten auf die abendliche Öffnung des Stalltores.

 

So träumt manch Pad oder Gässchen still den Traum der Vergangenheit oder des Goldenen Zeitalters, so wie es der Kölner Künstler Hans-Gerd Weise beim Betrachten des folgenden Fotos aus Leer interpretierte.

 

Leer
Dezember 2023

 

 

Mit herzlichem Dank für die Informationen!

Informationsquellen: Historische Ortsdatenbank der Ostfriesischen Landschaft, www.ostfriesischelandschaft.de HOO_Hatshausen_Ayenwolde.pdf, Marina Bohlen

Vier Jahrhunderte jüdische Geschichte in Oldersum 1606 bis 1940. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Oldersum. nordwestreisemagazin.de

Reise ins Jüdische Ostfriesland, www.ostfriesischelandschaft.de

Warsingsfehn 1736-1986, 250 Jahre Fehngeschichte, Kannegieter, Kanzler, Bockelmann, ISBN-Nr. 3928612050

Wikipedia: Artikel über Ayenwolde, Brückenfehn, Hatshausen, Moormerland, Oldersum, Warsingsfehn, Sauteler Kanal, Emssperrwerk

Herr Helmut Zimmermann, Emden

 

 

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